Brecht vs Villon
Nicolas Kemmer singt Lieder, Chansons, Balladen von Brecht, Villon, Bowie ...
Ende des 19. Jahrhunderts wurde Francois Villon wiederentdeckt: In Frankreich waren es Verlaine und Rimbaud, die
sich mit ihm identifizierten. Die erste vollständigere deutsche
Übertragung war die des Österreichers Karl L. Ammer im
Jahr 1907. Im "Berliner Tageblatt" vom 1. September 1928
Schrieb Alfred Kerr, der allmächtige Kritiker seiner Zeit,
sehr anerkennend über die "Dreigroschenoper", lobte die
Moritaten des Stücks und sprach von einer "Pionierleistung".
Ein Jahr darauf, als die Songs der "Dreigroschenoper" im
Druck erschienen, bezichtigte derselbe Kerr Brecht des
Plagiats und beschuldigte ihn des geistigen Diebstahls.
Brecht habe - so Kerr - Texte von Villon in der Übertragung
von K.L. Ammer übernommen, ohne Villon & Ammer
anzuführen. Wie sehr Brecht Anregungen von Villon erhalten
hatte, beweist sein erstes dramatisches Stück: das 1918
entstandene Schauspiel "Baal". Die Hauptgestalt stellt einen
Protagonisten auf die Bühne, der viele Eigenschaften mit dem
französischen Vorbild gemein hat. Baal tritt bei Brecht als
begabter Lyriker und zugleich als Wüstling, Säufer, Mörder
und Vagabund auf. Er treibt sich in Kneipen herum, wo er
wegen seiner Balladen und Moritaten bewundert wird.
Villons Lebensführung beeindruckte Brecht sehr, er hielt sie
für eine große Herausforderung, die nachahmungswürdig
war. Er ahmte sie auch nach, wo und wann immer sich eine
Gelegenheit bot, die Gesellschaft herauszufordern. Villons
Lebensauffassung wirkte sich sowohl auf Brechts
Lebenshaltung als auch auf sein Werk aus.